
© by Ewa
Gestern war ich selbstverständlich an, um und um die Urne herum. Mir ist aufgefallen, dass ich bisher bei jeder Bundestagswahl krank war, zumindest in gewissen Teilen lädiert. Die gutgelaunten, stets überfreundlichen Wahlhelfer sind mir nicht geheuer, sie wirken angeknipst, kommen auf Hochtouren ihrer Bestimmung nach. Meine Spiegelneuronen freuen sich jedoch so sehr, dass ich mich augenblicklich identisch verhalte und die ganze Szenerie so wirkt, als ob sich nach Jahrzehnten getrennte Familienmitglieder endlich wieder weinend in den Armen liegen können. Ich linse gerne in die anderen Kabinen, gebe laut gute Ratschläge „Schön das Kreuz richtig setzen!“ und bin recht zappelig auf dem harten Stuhl. Beim Rausgehen denke ich jedesmal, was sind das für traurige, heruntergekommene Orte, unsere Schulen, die zur Wahl von dem gesamten Wahlgedöns besetzt werden. Am nächsten Morgen, also heute, fühle ich mich wie nach einem Boxkampf, einem verlorenen Boxkampf. Man bleibt bis spät in die Nacht wach, schaut sich alle Diskussionsrunden an, wartet ungeduldig auf die neuesten Hochrechnungen. Der Mund ist auf, die Augen sind weit aufgerissen. Irgendwann gehst du schlafen, am nächsten Morgen, also heute, siehst du, dass es doch noch Veränderungen gab. Du kannst dann nur noch denken, scheiß Wahl, macht keinen Sinn, vor allen Dingen keinen Unterschied. Meine 3. Stimme flüstert mir ins Ohr: Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.