Wie kann man einem alten Menschen die Ängste nehmen? Wie kann man ihm klarmachen, dass er nicht unselbständig ist? Wie kann man ihn abhalten, sich selbst zu hassen? Wie kann man ihm die Buntheit des Lebens fühlen lassen? Wie kann man ihm Vergebung vermitteln? Wie kann man ihm eine Rückschau ohne Schuld-und-Sühne-Konzept ins Herz legen? Wie kann man ihm die Schmerzhaftigkeit der vertauschten Rollen klarmachen? Wie kann man gleichzeitig lachen und weinen? Wie kann man emotional begreifen, dass die Nabelschnur schon lange gekappt ist?
Gestern fand eine großartige Aufführung einer 6. Klasse statt: Der Rattenfänger von Hameln als Singstück. Jedes Kind hat einen speziellen Charakter, es gibt die Anführer, die Spaßvögel, die Schüchternen, die Unbeholfenen und die Ängstlichen. Auch innerhalb ihrer Rolle im Stück kehrten die Kinder ihr Innerstes nach außen. Im Laufe des Lebens kommt uns diese Besonderheit, diese Authentizität abhanden. Erwachsene spielen nur eine erwachsene Rolle, sie sind selten sie selbst. Die Kinder auf der Bühne waren individuell, die Erwachsenen im Publikum konform. Schade!
Sie hatte keine Lust, in die Ausstellung einer Bekannten zu gehen. Nach der Arbeit, noch nichts gegessen, eigentlich lieber zuhause rumlümmeln wollen. Aber nein, man muss, man hat zugesagt. In solchen Situationen wird noch gerne hinterhergerufen, dass es super werden wird, gerade, wenn man es anders erwartet. Man muss sich nur einen Ruck geben, über seinen Schatten springen, dann wird es entgegen der eigenen Erwartung super. Welche eigene Erwartung denn? Man hat keine Lust, macht es aber trotzdem. Welche Botschaft ist das bitte? Wenn man gegen seine Intuition und Emotion handelt, wird am Ende alles gut? Wenn man keine Lust hat, wird’s erst richtig lustig? Aus Minus wird Plus? Aus Scheiße wird Gold? Warum ist es nicht in uns angelegt, nach der eigenen Verfassung zu handeln?
Person A: Man wird geboren, man geht in die Kita, man geht in die Schule, man geht in die Lehre oder man geht in die Uni, man geht in die Arbeit, man geht in die Rente…
Person B: Man geht in den Tod…
Person A: Ja, das war’s. Wo ist da der Sinn?
Person B: Einfach nur bis zum Tod leben… ist zumindest kein Unsinn!
Es ist strahlender Sonnenschein in Berlin. Es wird täglich wärmer. Berlin ist wieder Berlin, wird endlich wieder sie selbst. Die graue Kälte ist schwer zu ertragen.
Wo würde der Mensch stehen, ohne Bar-, Giral- und Kryptogeld? Wie wäre sein Gemüt gestimmt? Wie würde er mit sich selbst, seinen Mitmenschen, mit Mutter Natur umgehen? Welche Träume hätte er? Welche Ziele würde er verfolgen? Welche Fußstapfen würde er hinterlassen?
Er bewertet so gerne, steckt alles in hübsch verpackte Kategorien, als Geschenk für die Gemeinschaft, sucht ständig nach Eindeutigkeit, hat aber auch Angst vor der Entscheidung, weil das reichhaltige Angebot zurückentscheidet. Sie hat trotzdem eine starke Meinung, haut also raus, sucht Ablenkung in schönen Sachen, benötigt jedoch Hilfe beim großen Ganzen. Es wird die Toleranz über Bord geworfen, Rat bei Ratgebern eingeholt, Halt in der Wertegemeinschaft gesucht. Das Beschissene an der Reflexion, sie kommt immer erst später, ist verträumt, trödelt herum.
12-jähriges Kind aus 2025 schaut Werbung aus den 50er und 60er Jahren. Zeichentrick, ein kleiner Junge zieht seine Holzente hinter sich her und hält einen Monolog: Mein Papi sagt, es gibt überhaupt keine bessere Zigarette auf der Welt als Royal Star. Ich bin noch ein Kind, ich kann noch keine Zigarette rauchen, aber mein Papi sagt, es gibt keine bessere Zigarette auf der gaaaanzen Welt als Royal Star und mein Papi ist der klügste Mann von der ganzen Welt… Werbebanner… Die Wahl ist klar, Royal Star.
Kind aus 2025: Korrekte Pädagogik, wenn der nicht gleich seine Holzente für Royal Star vercheckt hat!
Ich bin Wiederholungstäterin. In meinem damaligen Studium Biografisches & Kreatives Schreiben an der ASH in Berlin gab es die Aufgabe, einen Blog zu führen. Das habe ich einige Monate sehr gerne gemacht und ihn danach wieder gelöscht. Es war nur auf eine bestimmte Zeit angelegt, es gab (zu) viele Vorgaben, es wurde bewertet, es war nicht frei.
Es folgten düstere Tage, Jahre auf der ganzen Welt. In dieser Zeit konnte ich nicht schreiben, schon gar nicht öffentlich. Jetzt empfinde ich die Not und auch einen enormen kreativen Spaß, wieder Texte zu schreiben und zu teilen. Das Jahr 2025 ist der perfekte Zeitpunkt. Die Quersumme ist 9. Sie ist die letzte und höchste einstellige Zahl im Dezimalsystem. In ihr steckt gleich 3x die göttliche Zahl 3. In der Mathematik zeigt sie ihre magische Stellung, jegliche Zahl mit 9 multipliziert ergibt in der Quersumme wiederum die Zahl 9. Der Artikel 9 im Grundgesetz regelt die Vereinigungsfreiheit – von Menschen, von analog und digital, von schwarz und weiß, von Wort und Rhythmus, von Ton und Emotion, von Bild und Welt.
In den meisten indogermanischen Sprachen liegt die Herkunft der Zahl 9 in NEU: Deutsch neun – neu, Englisch nine – new, Italienisch nove – nuevo, Französisch neuf – nouveau, Spanisch nueve – nuevo,Latein novem – novus. Eine Schwangerschaft dauert 9 Monate, in der etwas Neues entsteht und heranwächst – storylens.site ist geboren.
Der Vater stand lässig und ein wenig gebeutelt in der Eingangstür. Die immer noch sehr kalte, feuchte Luft strömte hinein. Sie stand mitten in dieser kalten Schneise und unterhielt sich gezwungenermaßen dort mit dem Vater. Der Junge kam runter, setzte sich auf den Treppenabsatz und zog seine Schuhe an. In einer zuvor noch nie dagewesenen Langsamkeit. Der Vater stand weiterhin wie angewurzelt zwischen Tür und Angel. Dieses Bild hat sich eingebrannt. Plötzlich wurde ihr klar, dass sich Emotional und Sozial gerne verteilen. Emotional von der Mutter und Sozial von dem Vater, vereint und verknäult im Kind.
Abriss. Es entstehen große Schutthaufen. Ich mag diese rebellische, melancholische Ästhetik. Das Schöne im Schlechten, im Grauen, im Bösen entdecken. Im Film Gundermann verströmt das Lausitzer Braunkohlerevier einen solchen poetischen Sog, dass man sich dieser klaren Schönheit kaum entziehen kann. Danach verstand ich den Wunsch vieler Kinder, Baggerfahrer werden zu wollen.
Hä? Das ist jetzt also ein Trip, oder wie? Willst du mich verarschen? Das erste Mal? Sorry, ja, und wie nimmt man den? Schon mal was von Schlucken gehört? Und bitte, keinen Alkohol dazu trinken, sonst wird’s übel, echt jetzt! Okay, alles klar, danke und tschüüüüss! So ein kleines Fitzelchen und so viel Geld, na ja. Einfach mal probieren… Ich merke nix, null, nada, niente… Hallo, huhu, kannst du mir noch ‘ne Caipi bringen… Oh fuck, wie auf ‘ner Seefahrt, die ist nicht lustig. Ich bin eine Schlange, nee, Kapitän, nee, französische Schauspielerin, nee, optisch alles recht fragwürdig
Bisch du aus Stuagard? Nee, bin ich nich! Schade, warum hasch du denn dai Haare so rasierd? Sieht geil aus, waisch, wäge der Schinead O’Connor, gell! Abba mit Haare, so lange, gell, säsch no geiler aus. Aha, sehr interessant, wohl vom Fach, was?!
Wieso? Wo ist das Problem? Sex ohne Liebe… guck mal, alle mit weißen Nasen. Also irgendwie hast du schon einen gewissen Charme, so einen aggressiven Charme. Du flirtest schon auch, aber eben aggressiv. Hä? Flirten nein, aggressiv ja, jetzt gerade! Siehste, ich sag doch, aggressiver Charme.
SIE war auf eine Party eingeladen worden, irgendwo in der Pampa. Tatsächlich noch pampiger als die Kleinstadt, in der SIE gelandet war. Große Erwartungen hatte SIE nicht. SIE hatte aber Lust auf Feiern und Spaß und war einfach mal alleine losgezogen. Nun saß SIE da, in dieser Möchtegern-Ski-Hütte im Wald. SIE saß auf einer Bank und wartete. Fremde und Freunde kamen und gingen, man gluckte zusammen, nippte an seinem Glas und hatte mehr oder weniger Spaß. Ihr gegenüber setzte sich irgendwann ein Pärchen hin. Die beiden schienen Streit zu haben. Sie wollte diskutieren, ER eher nicht. ER schaute seine Freundin gar nicht mehr an. ER konnte nur noch SIE anschauen. Schaute SIE einfach nur an. Plötzlich schoss ihr in den Kopf, dass SIE gerne so einen Freund hätte. Seine langen dunklen Haare mit Schillerlocken, diese vollen sinnlichen Lippen, diese liebevollen braunen Augen. Die Freundin schien seine und ihre Blicke zu spüren und drängte ihn zum Aufbruch. ER hatte keine Lust, gab aber nach. ER warf noch ein Tschüss über den Tisch hinüber zu ihr und ging hinaus in die Nacht. SIE blieb noch da. Monate später trafen ER und SIE bei einem gemeinsamen Freund wieder aufeinander. Ihr Herz hüpfte vor Freude. SIE hatte zwar nicht dauerhaft an ihn gedacht, sich nun aber wieder an ihn erinnert, an seine liebevollen braunen Augen. Später übernachteten SIE bei ihrem Freund, landeten zusammen in einem Bett. ER wollte dringend mit ihr schlafen, fummelte beständig an ihr herum. SIE wollte es auch, jede Faser ihres Körpers war in lustvoller Wallung, SIE wurde feucht und wollte dringend eindringen und dass in SIE eingedrungen wird. SIE sagte aber, dass SIE für eine schnelle Nummer nicht zu haben sei. SIE brauche den Orgasmus im Kopf! Hatte SIE das irgendwo gelesen? Konnte man sich so etwas tatsächlich ausdenken? ER lachte, fragte nach, ob das jetzt ernst gemeint sei. Es ging hin und her, beide waren betrunken, beide lagen sich in den Armen, beide lachten und diskutierten die ganze Nacht. Am nächsten Morgen standen SIE draußen vor dem Haus und grinsten verschämt, weil SIE so dermaßen ausgelutscht aussahen. SIE gab ihm ihre Nummer. SIE würden sich wieder-, wieder- und wiedersehen. SIE kamen zusammen, wurden ein Paar. Es gab eine Phase, in der man SIE nur noch knutschend ineinander verschlungen sah. Ihre beiden weichen, warmen Zungen erkundeten zärtlich das Innere des anderen, bewegten sich rhythmisch hin und her. Der schwer-süßliche Anis-Likör ummantelte ihre Sinne. SIE biss sanft in seine Unterlippe, zog sie fest an ihre heran. Ihr Kinn war von seinen Bartstoppeln dauerhaft wund und gerötet. Ihre Hände glitten am Körper des anderen hoch und wieder runter. SIE zogen den anderen immer wieder fest an sich heran. SIE hatten unzählige Male Sex am Tag, in der Nacht, in jeder Sekunde. Unzählige Orgasmen erlebten SIE miteinander. SIE zogen irgendwann zusammen, SIE stritten sich heftigst, SIE trennten sich immer wieder, SIE versöhnten sich leidenschaftlich. SIE wäre fast gestorben, ER stand ihr immer bei, war für SIE da. SIE hatten immer wieder Sex, vereinigten ihre Körper und Seelen, wurden immer wieder eins. So meisterten SIE die wilden Zeiten, überstanden alle Höhen und Tiefen. SIE entwickelten sich weiter, gingen beide in unterschiedliche Richtungen, fanden immer wieder zusammen, liebten sich, pressten ihre Lippen aufeinander, pressten ihre warmen Schenkel aneinander, wurden eins. SIE würden zusammenbleiben, bis dass der Tod SIE nicht scheiden würde. In ihren nächsten und nächsten Leben würden SIE sich immer wieder begegnen. SIE würden sich nicht mehr an ihre Namen erinnern, ihre Körper nicht mehr erkennen, aber SIE würden sich in ihren braunen Augen wieder-, wieder- und wiederfinden können.
Gestern war ich selbstverständlich an, um und um die Urne herum. Mir ist aufgefallen, dass ich bisher bei jeder Bundestagswahl krank war, zumindest in gewissen Teilen lädiert. Die gutgelaunten, stets überfreundlichen Wahlhelfer sind mir nicht geheuer, sie wirken angeknipst, kommen auf Hochtouren ihrer Bestimmung nach. Meine Spiegelneuronen freuen sich jedoch so sehr, dass ich mich augenblicklich identisch verhalte und die ganze Szenerie so wirkt, als ob sich nach Jahrzehnten getrennte Familienmitglieder endlich wieder weinend in den Armen liegen können. Ich linse gerne in die anderen Kabinen, gebe laut gute Ratschläge „Schön das Kreuz richtig setzen!“ und bin recht zappelig auf dem harten Stuhl. Beim Rausgehen denke ich jedesmal, was sind das für traurige, heruntergekommene Orte, unsere Schulen, die zur Wahl von dem gesamten Wahlgedöns besetzt werden. Am nächsten Morgen, also heute, fühle ich mich wie nach einem Boxkampf, einem verlorenen Boxkampf. Man bleibt bis spät in die Nacht wach, schaut sich alle Diskussionsrunden an, wartet ungeduldig auf die neuesten Hochrechnungen. Der Mund ist auf, die Augen sind weit aufgerissen. Irgendwann gehst du schlafen, am nächsten Morgen, also heute, siehst du, dass es doch noch Veränderungen gab. Du kannst dann nur noch denken, scheiß Wahl, macht keinen Sinn, vor allen Dingen keinen Unterschied. Meine 3. Stimme flüstert mir ins Ohr: Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.
Menschen benötigen eine Gemeinschaft. Sie schwören täglich ihren Eid auf irgendeinen Konsens. Die Wissenschaft ist sehr eifrig. Sie steht permanent in den Startlöchern und präsentiert einen Konsens nach dem anderen. Das ist das Gegenteil von Freiheit, fühlt sich aber so enorm frei und erwachsen an. Gäbe es da nicht die Manipulation. Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Verfolge den Weg des Geldes und du kennst die Quelle des Konsenses. Wie schön, dass das ganze Leben nur ein Spiel ist, ein Spiel auf Zeit, mit etlichen Regeln. Kinder schummeln ständig, weil sie ein Verlieren nicht ertragen können. Gelernt ist gelernt.
Ich war in einem großen Raum mit vielen Menschen. Die Emotionen kochten ordentlich hoch. Mal wurde gelacht, dann wurde ernst diskutiert. Man wollte sich einigen, ein Regelwerk erstellen. Alle würden sich daranhalten müssen, sonst könnten wir es nicht schaffen, in diesem Dschungel zu überleben. Okay, überleg, überleg, schreiben, schnell was schreiben, jaaaaaaaa, wir haben alle was, wir diskutieren weiter. Pfeilschnell wie Tai Sung ohne jegliches Gefühl für ein expert timing fliegen plötzlich einige Emotionen durch die Luft. Ich schnappe grundsätzlich nach Luft, ich bin da wohl ein Vielfraß, mich treffen sie alle. Es fällt der Tipp, sich alle fliegenden Emotionen nicht fliegend, sondern eher liegend auf dem Tisch vorzustellen. Ich kann dann selbst entscheiden, welche ich mir einverleiben möchte. Super Tipp, kommt nur zu spät, sie sind schon alle in mir drin. Es gibt einen Peak in dem ganzen Irrsinn, der sich im Laufe der Woche abbauen wird.
Später erzählt mir ein Kind, dass sie gerade Fabeln im Deutschunterricht durchnehmen. Mag es nicht. Was soll das bitte immer mit dieser Moral? Sie wird stets so hervorgehoben und gerühmt. Das ist doch nur was Emotionales. Eine Lehre ist viel höher zu bewerten, sie ist verpflichtend.
Zum Abschluss der Woche muss ich ein Wort im Wettkampf mit dem Männchen am Galgen erraten. A? Ja! E? Ja! I? Ja! S? Nein! M? Ja! Es ist das Wort Demokratie. Richtig geschrieben, aber meistens falsch verstanden!